*tnd*vau*Fridolin_der_Fuessekuesser*
Fridolin der Füßeküsser
ein modernes Märchen
Text: Franz Epril
Design: Bianca Pereira
Es war einmal ein kleiner Junge,
der hieß Fridolin.
Fridolin war sehr schlau.
Er wusste nicht nur alles,
er wusste sogar alles besser.
Das kam nicht überall gut an.
Seine Klassenkameraden fanden Fridolin doof
und sogar seine Eltern seufzten und stöhnten
wenn Fridolin sie am Küchentisch mal wieder
verbesserte,
korrigierte
und belehrte.
Wer mit Fridolin zu tun hatte,
lernte schnell,
dass Widerspruch nur zu langen,
ermüdenden Diskussionen führte.
So sagten Fridolin immer mehr Menschen:
‘Ah! So? Wirklich? Interessant!
Was du alles weißt, du kluger Fridolin.
Danke für dieses tolle Gespräch.’
Zuerst fühlte Fridolin sich davon sehr geschmeichelt.
Er hielt sich für noch klüger und noch beliebter.
Doch nach einiger Zeit fiel Fridolin auf,
dass die Menschen zwar sagten, was er hören wollte,
jedoch seinen Rat nie befolgten.
Zum ersten Mal in seinem Leben
war der kleine Fridolin ratlos.
Zum ersten Mal in seinem Leben
musste der kleine Fridolin selbst jemanden um Rat fragen.
Doch wen konnte er fragen?
Fridolin überlegte lange hin und her.
Dann fiel Fridolin sein Opa ein.
Dem Opa gehorchten die Menschen.
Den Opa würde Fridolin um Rat fragen.
‘Opa’, fragte Fridolin,
‘warum gehorchen dir die Menschen?’
Der Opa erklärte,
das komme daher,
dass er der Bürgermeister sei.
‘Opa’, fragte Fridolin,
‘wie wird man Bürgermeister?’
Der Opa erklärte,
dazu müsse man viele Füße küssen.
Fridolin erschauderte.
Er wollte, dass ihm die Menschen gehorchten.
Ganz sicher würde er ihnen nicht die Füße küssen.
Der Opa lachte.
Natürlich küsse man nicht die Füße der normalen Menschen.
Das bringe ja gar nichts.
Die Füße von Reichen und Mächtigen,
die müsse man küssen,
damit man Geld für den Wahlkampf bekommt,
und die Zusicherung von Arbeitsplätzen,
und gute Berichte in den Zeitungen.
Fridolin schüttelte sich immer noch.
Füße küssen.
Das war ja ekelig.
Auch wenn es reiche Füße waren.
Doch der Opa lächelte weise.
Die Reichen und Mächtigen
laufen doch den ganzen Tag auf roten Samtteppichen.
Die machen sich die Füße nicht schmutzig.
Da ist nichts Ekeliges dran, reiche Füße zu küssen.
Das leuchtete Fridolin ein.
Fortan küsste Fridolin allen Reichen und Mächtigen,
denen er begegnete, hingebungsvoll die Füße;
am liebsten die, des reichen Grafen von Schwarzenstein.
Wenn Fridolin nicht gerade einen Schuh zwischen den Zähnen hatte
brabbelte er mit einer Stimme,
die er nur für die Reichen und Mächtigen reservierte,
einer Stimme so süß und klebrig wie Bienenhonig,
sein Füßeküsser-Mantra:
‘Wie schöne Füße du hast, großer Graf.
Eine Freude, die zu küssen, großer Graf.
Falls du einen Schreiber brauchst, großer Graf,
dann bitte denk an mich.
Ich bin der gescheiteste Junge im ganzen Land
und werde dir mit Sicherheit von großem Nutzen sein.’
Der große Graf,
beeindruckt von Fridolins unterwürfigem Eifer,
hielt nicht viel von dessen selbst gepriesener Klugheit.
Jedoch erkannte er,
dass ein Junge,
der so fleißig Füße küsste,
wohl niemals aufmüpfig werden würde.
Und so ernannte der Graf Fridolin zu seinem offiziellen Briefeschreiber.
Die Aufgabe war nicht sonderlich ehrenvoll.
Fridolin musste die schlechtesten Nachrichten,
die sich sonst niemand auszusprechen traute,
in wohlklingende Worte packen.
Ob Steuererhöhungen,
Rentenkürzungen
oder das Verbot von Volksfesten
– alles Unangenehme wurde Fridolins Feder anvertraut.
Doch der Junge fühlte sich geehrt.
Er hielt die Macht,
die hinter den Briefen des Grafen steckte,
für seine eigene.
‘Wenn ich schreibe, zittern die Menschen’,
dachte Fridolin stolz.
Fridolins Briefe lösten Tränen, Wut und Angst aus.
Und Fridolin,
der immer klüger sein wollte als alle anderen,
fand Gefallen daran,
die Worte so zu drehen,
dass sie alle Menschen schwach erscheinen ließen
– und ihn selbst mächtig.
Doch bald war Fridolin das Briefeschreiben nicht mehr genug.
Bei jedem Füßekuss bettelte er den Grafen an,
ihm eine größere Verantwortung zu übertragen.
‘Großer Graf’, schmeichelte Fridolin,
‘du hast das meiste Geld im ganzen Land.
Ich habe den größten Verstand im ganzen Land.
Zusammen wären wir unaufhaltsam.
Gib mir eine Aufgabe,
bei der ich nicht nur schreiben,
sondern herrschen kann!’
Der Graf zögerte.
Er hielt Fridolin für zu eitel,
zu selbstverliebt.
Doch der Junge bettelte und schmeichelte so lange,
dass der Graf schließlich nachgab.
‘Gut’, sprach der Graf, ‘du sollst über die Kartoffel-Insel herrschen.
Dort läuft die Produktion seit Jahren immer schlechter,
und die drei Verwalter vor dir sind gescheitert.
Ich denke,
schlimmer kannst selbst du es nicht machen.’
Fridolin fiel vor dem Grafen auf die Knie,
küsste hingebungsvoll dessen Füße und versprach,
die Insel wieder höchst rentabel zu machen.
Als Fridolin wenige Tage später auf der Insel ankam,
war er begeistert.
Endlich war er ein Herrscher!
Er ließ sich sofort einen goldenen Stuhl anfertigen,
auf dem er thronen konnte,
während ihm seine Untertanen die Füße küssen sollten.
Zu seiner ersten Audienz ließ Fridolin
Einladungen mit goldener Schrift
an alle Bewohner der Insel verschicken:
Fridolin der Große,
Herrscher von des Grafes Gnaden,
lädt zur Audienz.
Wer Wünsche vorzubringen habe,
möge diese bei einem ehrfürchtigen Kuss der Füße
seiner Exzellenz Fridolin des Großen
untertänigst mitteilen.
Fridolin hatte sich nicht nur den goldenen Füßeküsser-Thron bauen lassen.
Er hatte sich auch drei Paar Ersatzschuhe anfertigen lassen,
falls der Ansturm an Füßeküssern zu groß werden sollte.
Doch zu Fridolins großem Ärger
erschienen keine Menschen zu seiner Audienz.
Zwar hatten alle Wünsche,
aber die waren nicht so stark,
dass dafür jemand Fridolins Füße küssen wollte.
Fridolin war gekränkt und enttäuscht.
Dann dachte er sich:
‘Vielleicht muss ich den Bewohnern der Insel erst einmal beweisen,
was für ein genialer Herrscher und Verwalter ich bin.’
Sofort ließ Fridolin sich die Bücher bringen und studierte,
wann es der Insel am besten gegangen war.
Schnell stellte Fridolin fest:
Ihren Höhepunkt hatte die Kartoffel-Insel
in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts gehabt.
Damals gab es noch keine großen Maschinen.
Vieles war Handarbeit.
Es herrschte eine 6-Tage-Woche.
Fridolin war begeistert.
Sowohl seine Vorgänger,
als auch seine Untertanen,
mussten wirklich dumm sein,
diese Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben.
Die vielen, großen Maschinen zu verkaufen
würde nicht nur schnell viel Geld in die Kasse spülen.
Mit einem Schlag gäbe es auch wieder viel mehr Arbeit,
mehr Arbeitsplätze und damit mehr Steuerzahler.
Der Aufschwung
wirkte vor Fridolins Augen
zum Greifen nah.
Stolz auf sich,
ließ Fridolin seinen Gedanken sogleich Taten folgen.
Das Leben für die Menschen auf der Kartoffel-Insel verschlechterte sich dramatisch.
Wer nicht das Glück hatte,
eine Position als Aufseher oder Buchhalter zu haben,
dessen Arbeit wurde über Nacht härter, länger und gefährlicher.
Arbeitsschutz galt plötzlich als Luxus,
der die Produktion aufhielt.
Unfälle und Krankheit waren immer die Schuld der Arbeiter
und wurden mit Lohnkürzungen oder gar Entlassung bestraft.
Die Bewohner der Kartoffel-Insel litten bitterlich.
Doch Fridolin war blind für das Leid seiner Untertanen.
Er sah nur, was er sehen wollte.
Da waren einerseits die prall gefüllten Kassen,
durch den Verkauf der Maschinen
und zugleich lange Schlangen bei seinen Füßeküsser-Audienzen.
Die Wünsche der Menschen waren so drängend geworden,
sie waren nun bereit Fridolins Füße zu küssen.
Das gefiel Fridolin.
Doch was die Menschen sich wünschten,
das wollte Fridolin so gar nicht gefallen.
‘Oh bitte, großer Herrscher,’
baten viele Untertanen verzweifelt,
‘beschaffe doch wieder Maschinen!’
Das kam natürlich gar nicht in Frage.
Mit Ausgaben würde er den großen Grafen nicht beeindrucken.
Andere Untertanen hatten noch absurdere Wünsche.
Urlaub.
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Rente mit 63.
Diese Wünsche verärgerten Fridolin so sehr,
dass er ein Gesetz erließ.
Wünsch dir was ist vorbei!
stand bald auf großen Plakaten an allen Wänden.
Doch die Menschen im Land hörten nicht auf zu wünschen.
Sie sprachen ihre Wünsche nur nicht mehr aus.
So wurden die Wünsche nachts zu Träumen.
Viele Menschen,
die jede Nacht
die gleichen Träume hatten,
gaben den Träumen so viel Aufwind,
dass sie bis weit übers Meer trugen.
An einem einsamen Strand weit im Osten
erreichten die Träume der Menschen,
die Wünsche nach Freiheit,
nach Sicherheit,
nach Wohlstand für alle,
nach Rente mit 63,
die offenen Ohren der guten Fee Angie.
Als die gute Fee Angie
den Schmerz der Leute spürte
verwandelte sie flugs einen Kürbis in ein Boot
und machte sich an die Überfahrt zur Kartoffel-Insel.
Was sie dort sah, brachte ihr Herz zum Weinen.
Die Menschen schufteten im Schweiße ihres Angesichts.
Ausgemergelte Körper.
Geschundene Seelen.
Kraftlose Augen.
Am Ende jedes harten Arbeitstages
bildeten sich lange Schlangen
vor Fridolins Palast.
Denn nur die besten Füßeküsser bekamen Essens-Gutscheine.
Und nur die fleißigsten Arbeiter bekamen überhaupt eine Audienz zum Füßeküssen.
Das Elend der Menschen zu sehen,
die Herzlosigkeit Fridolins zu erleben,
machte die gute Fee Angie sehr wütend.
Sie tat, was gute Feen sonst nie tun.
Sie verwandelte Fridolin
in eine hässliche, schwarze Kröte.
Nur wenn ihm 1.000 Menschen
freiwillig die Krötenfüße küssen,
würde er wieder zum kleinen Jungen.
Die Nachricht verbreitete sich auf der Kartoffel-Insel wie ein Lauffeuer.
Die Menschen jubelten und feierten.
Sie sagten sich los, vom großen Grafen
und beschlagnahmten all seine Kassen.
Es wurde in neue Maschinen investiert,
in gerechte Löhne,
in Schulen und Altenheime,
in Kinos und Konzertsäle.
Es brachen goldene Zeiten an,
geprägt von Zusammenhalt und Fortschritt.
Wünschen war wieder erlaubt.
Nicht nur erlaubt.
Mehr noch.
Wünschen war erwünscht.
Auf der ganzen Insel entstanden kleine Werkstätten,
in denen aus den Wünschen der Bürga°
neue Produkte und Dienstleistungen entwickelt wurden.
Die Menschen ließen sich nicht mehr
zur harten Arbeit auf den Kartoffeläckern zwingen.
Sie verdienten mehr Geld als je zuvor,
waren so glücklich und gesund wie nie zuvor,
indem sie ihre Hobbies zum Beruf machten.
Jetzt wussten sie,
dass Freiheit so viel mehr war,
als das Recht, in anderen Ländern Urlaub zu machen.
coypright: franz epril | vau | verlag für selbstverlega° | berlin
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